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Die Trauer der Witwe im Frühling
Am kommenden Sonntag wird in der reformierten Kirche der Totensonntag begangen. Im Blick darauf heute ein Gedicht des amerikanischen Lyrikers William Carlos Williams (1883 – 1963) über die Trauer einer Witwe. Es endet hoffnungsarm. Sollte Kirche nicht die Hoffnung des Glaubens vermitteln? Ich finde, dass wir viel zu oft vorschnell und billig Hoffnung herbeireden und dabei Schmerz und Dunkel überspringen. Der Glaube aber nimmt die Trauer ernst und hält sie aus. Er lässt die Hoffnungslosigkeit zu Wort kommen. Daraus dann kann neue Lebensbejahung entspringen. In diesem Sinne also The Widow’s Lament in Springtime in deutscher Übertragung: Trauer der Witwe im FrühlingMein Land ist die Wehmut, wo frisches Gras leuchtet,wie es…
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Fraktale Welt
Heute wäre der Mathematiker Benoît Mandelbrot hundert Jahre geworden. Er wurde in Warschau geboren, verbrachte den Grossteil seines Lebens in Frankreich und den USA und verstarb 2010. Er beschäftigte sich mit mathematischen Problemen der Physik, der Finanzwelt und der Chaosforschung. Weitum bekannt wurde er durch die nach ihm benannte Mandelbrotmenge. Diese wird berechnet, indem die Ergebnisse einer bestimmten Gleichung wiederholt in diese einsetzt werden. Wenn die Werte nicht anwachsen, werden sie schwarz dargestellt, anderenfalls eingefärbt. So entsteht das charakteristische «Apfelmännchen». Programme für die Berechnung und Darstellung gibt es auch online, etwa «mandelbrot.site». Das Faszinierende an der Mandelbrotmenge sind ihre Ränder, die nicht glatt sind, sondern kleine Ausbuchtungen enthalten, die selbst…
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Freut euch!
Ein in streng katholischer Tradition aufgewachsener Freund ist zum Buddhismus übergetreten. Zwischenzeitlich hat er mehrere Bücher zum Buddhismus veröffentlicht. Als ich ihn nach dem Motiv seiner Konversion fragte, meinte er: Einer der Gründe sei der schmerzverzerrte Jesus am Kreuz, wie er auf jedem Kruzifix und den meisten Kreuzesdarstellungen zu sehen sei. Der Leidensmann konterkariere doch seine eigene frohe Botschaft. Wie sollte ein derart unerlöst Wirkender Erlösung wirken können. Was für ein Kontrast dazu der auch im Sterben sanft lächelnde Buddha. Außerdem spiegle sich die Leidensgestalt Christi in den Leidensmienen zu vieler seiner Anhänger. Ob ich mir Jesus überhaupt je humorvoll, fröhlich, gar lachend vorstellen könne? Mit sarkastischem Unterton hatte schon…
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Ambiguitätstoleranz
«Ich glaube, ich trauere nicht richtig», sagte kürzlich eine Frau zu mir. «Ich habe meinen Grossvater so gern gehabt, aber schon kurz nach seinem Tod meinen Frieden damit gemacht. Ich muss nicht mal mehr weinen.» Die Frau durchlebt gerade eine wahrhaft «ambige» Situation. Ambiguität meint (innere) Widersprüche, Mehrdeutigkeiten oder Unsicherheiten. Auf der einen Seite ist da das eigene Trauer-Erleben, auf der anderen die Vorstellung davon, wie «richtiges» Trauern gehen sollte. Es lässt die Frau verzweifeln, dass sie beides nicht übereinbringen kann. Was in solchen Momenten hilft ist Ambiguitätstoleranz, d.h. die Fähigkeit von uns Menschen, Widersprüche auszuhalten und anzuerkennen, dass wir in einer Welt leben, in der es nicht immer schwarz…
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Ich möchte an das ewige «Du» glauben dürfen
Für die Reihe von Gastbeiträgen unter dem Motto «Gott, wie ich ihn/sie sehe» hat unsere Freiwillige Mitarbeiterin Verena Bosshart folgenden Beitrag geschrieben: Meine Einleitung zu diesem Thema und Text ist voller Fragen: Gibt es überhaupt einen Gott? Wenn ja, ist es ein Ermahner, der schaut, wie ich mich verhalte auf dieser Erde? Kann Gott eingreifen in das Chaos dieser Welt? Warum lässt er dies alles zu? Und so könnte man die Liste weiter ergänzen! Diese Fragen sind allgegenwärtig in Gesprächen und Diskussionen. Damit will ich mich nicht mehr oft und ewig auseinander setzen wie in früheren Jahren meines Lebens. Mir ist heute wichtig klar zu werden auf meinem persönlichen Weg…