Nicht fragen!

„Woher kommen Sie?“
„Hast du Kinder?“
„Wie lange leben Sie schon in der Schweiz?“

Früher habe ich solche Fragen oft gestellt, wenn ich mit einem mir unbekannten Menschen in Kontakt gekommen bin. Aber inzwischen bin ich vorsichtig. Ich weiss, dass viele Fragen, bei denen es um Herkunft, Beziehungs- oder Familienformen geht, als potentiell diskriminierend oder belästigend gelten. Ich weiss von Schweizer:innen nichtweisser Hautfarbe, die in der Schweiz aufgewachsen sind und es mehr als satthaben, immer auf ihre Herkunft angesprochen zu werden. Und ich weiss, dass die Frage nach Kindern für manche Menschen als Festlegung auf traditionelle Hetero-Lebensformen daherkommt und deshalb als unangebracht empfunden wird.

Ich verstehe das. Und doch bedauere ich diese Veränderung auch. Fragen sind ja Interessensbekundungen. Ich möchte mich ein kleines Stück weit in die Situation eines anderen Menschen versetzen können. Und da sind Themen wie Herkunft oder Lebensstil einfach relevant. Ein Teil meiner eigenen Herkunftsfamilie ist deutsch. Dieser Umstand hat mich in meinem Sein als Schweizer wesentlich geprägt. Er macht mich aus. So ist es doch auch mit anderen Menschen. Mit unserer Geschichte, unseren Prägungen, unserer Lebensform wahrgenommen zu werden, heisst auch, umfassender und differenzierter wahrgenommen zu werden.

Natürlich kann man jemandem mit Fragen zu nahe treten. Aber man kann einander auch durch scheindiskrete Unverbindlichkeit fernhalten und fremd bleiben.

In Untersuchungen lese ich, dass sich in der Schweiz gut ein Drittel der Menschen einsam fühlt.
Vielleicht sollte ich wieder mutiger sein mit meinen Fragen…

Foto: Wegweiser zum Ort Fragen (Fraixén), katalanische Pyrenäen, Cherubino, 2012. Quelle: Wikimedia Commons