Noch manche Nacht wird fallen…
Das Adventslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ ist die Vertonung eines Gedichtes des deutschen Theologen und Schriftstellers Jochen Klepper. Klepper hat den Text 1937 geschrieben. Er war mit einer jüdischen Frau verheiratet, was in Nazideutschland zu seiner Ausgrenzung und zur Gefährdung der Frau und der Töchter führte. 1942 entschied sich die Familie für den gemeinsamen Suizid. Der Text ist deutlich von diesen prekären Lebensumständen geprägt. Mich berührt vor allem die vierte Strophe:
«Noch manche Nacht wird fallen/ auf Menschenleid und -schuld./ Doch wandert nun mit allen/ der Stern der Gotteshuld./ Beglänzt von seinem Lichte,/ hält euch kein Dunkel mehr,/ von Gottes Angesichte/ kam euch die Rettung her.»
Nichts wird hier verharmlost: Von Leid und Schuld ist die Rede, und vom Dunkel, von der Nacht. Und nichts wird überhöht: Gottes «Huld» – also Gottes Zuwendung und Liebe – überstrahlt nicht einfach alles. Sie wird als Stern in der Nacht beschrieben, als etwas also, das zwar sichtbar ist, das Dunkel aber nicht auflöst. Vielmehr ist es so, dass die Realität des Dunkels ihre Macht über Menschen verliert. Der Glanz des Sternes bewirkt, dass das Dunkel sie nicht mehr hält, dass es nicht mehr alleinbestimmende Wirklichkeit ist!
Und obwohl das Lied das Dunkel sehr ernst nimmt, kennt es doch eine grosse Hoffnung. Es beginnt mit der Aussage: «Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.» Unsere Erfahrung, dass jeder Nacht ein Tag folgt, nährt den Glauben, dass irgendwann, irgendwie das Leid und die Schuld ein Ende finden können. Der Stern der Gotteshuld ist der Morgenstern. Er verweist auf ein helleres Licht.
Abb: Nachthimmel. Quelle: pxhere. https://pxhere.com/de/photo/1409800