Rhetorikmangel
Vor knappen drei Wochen wurde ein neuer Papst gewählt: Leo XIV. Und natürlich ist schon alles Mögliche über ihn geschrieben worden. Eine Auffälligkeit, die für eine öffentliche Person bemerkenswert ist, wurde allerdings selten kommentiert: Leo liest seine Reden oder Predigten vom Blatt ab. Sogar bei seinem allerersten Auftritt nach der Wahl – auf der Benediktionsloggia des Petersdoms – hat er das getan. Dieser Mann blickt konzentriert auf seine Notizen und kaum zu den Menschen, zu denen er spricht. Jede:r Kommunikationstrainer:in würde das kritisieren und es ihm auszutreiben versuchen. Als Papst muss man doch die Leute erreichen! So findet kein Kontakt zu den Zuhörenden statt! Wo bitte bleibt die freie Rede?

Und tatsächlich erlebt man es immer seltener, dass eine öffentliche Person sich nicht frei redend an die Menschen wendet.
Ich finde es wohltuend, dass hier jemand, der in eine öffentliche Rolle katapultiert wurde, offensichtlich dazu steht: Frei zu sprechen ist nicht seine Stärke. Oder vielleicht würde Papst Leo sagen: «In dieser Rolle muss ich mir genau überlegen, was ich sage. Und dann muss ich mir das eben aufschreiben und ablesen.» Sein Vorgänger hat sich mit spontanen Äusserungen ja oft genug in Schwierigkeiten gebracht.
Es ist ein gutes Zeichen, wenn das Oberhaupt einer Kirche nicht nur davon predigt, dass wir Menschen nicht perfekt sein müssen, sondern es vorlebt!
Auch so kann Nähe entstehen.
Abb: Papst Leo XIV., 8. Mai 2025. Foto: Europa Press (Imago)