Ruhepol für ein philosophisches Ei

Das «philosophische Ei» in der Halle des Hauptbahnhofs Zürich hat im Mai eine kleine Schwester bekommen: Das Werk «Und mittendrin ist Licht» in der Bahnhofkirche.

Seit 1992 leuchtet die rote Neonspirale mit den blauen Zahlen und den Tierfiguren hoch über den Köpfen der Reisenden. Es ist eine Arbeit des renommierten italienischen Künstlers Mario Merz.

«Und mittendrin ist Licht» von Adrian Bütikofer ist seit dem 25. Mai für drei Monate in der Bahnhofkirche zu sehen. In formaler Sicht gibt es gewisse Ähnlichkeiten, die vom Künstler aber nicht gewollt sind: Das leuchtende Rot, die kreisende Form, die Dynamik, die nach aussen strebt.

Der Bahnhof ist ein Ort der Energie, der Lebendigkeit, des Lebensflusses: Wie das rote Licht, wie die ins Weite ausladende Spirale und die Tiere bei Merz.
Wie das kräftige Rot und die Kurven, die die elliptischen Bahnen durchbrechen, bei Bütikofer.

Was mir an seinem Werk aber besonders gefällt, ist das goldene Licht im Mittelpunkt. Ganz ruhig leuchtet es aus einem geöffneten Hohlkörper, wird langsam stärker, dann wieder schwächer, verlischt aber nie. Ein Ruhepol, der die nach aussen drängende Energie mit einer zentrierenden Kraft verbindet. Für manche Menschen vermag die Bahnhofkirche ein solcher Ruhepol, ein Ort der  Zentrierung im Vibrieren des Alltags zu sein.

Mich freut es, dass das philosophische Ei für ein paar Wochen eine kleine Schwester bei sich hat. Vielleicht kommt es ja auf den Geschmack, und es entschlüpft ihm ein spiritueller Ruhepol – so für zwischendurch zum Durchatmen.

Abb: Mario Merz, Das philosophische Ei, 1992, Zürich Hauptbahnhof. Foto: Gorodilova. Wikipedia/ Adrian Bütikofer, Und mittendrin ist Licht, 2023, Bahnhofkirche Zürich. Foto: Bahnhofkirche Zürich