Schein oder Sein
Können Katzen meditieren? Diese Haustiere strahlen im Vergleich zu anderen häufig eine Ruhe und Gelassenheit aus, die es so aussehen lässt, dass sie in tiefem Frieden mit sich selbst und in einem meditativen Zustand sind.
Die Frage begegnete mir in einem ganz anderen Zusammenhang. Im Oktober bereiste ich Südindien und bewunderte in Mamallapuram, einem Ort an der Westküste, das in hellen Granit gehauene gewaltige Steinrelief, das «Herabkunft der Ganga» und auch «Arjunas Busse» genannt wird. Es zählt zum UNESCO Weltkulturerbe und enthält weit über hundert Figuren. Aus einer natürlichen Einbuchtung in der Mitte wurde der Fluss Ganges gestaltet, links davon sieht man den asketischen Arjuna, wie er auf einem Bein stehend unter der wohlwollenden Beobachtung des Gottes Shiva meditiert.
Auf der gegenüberliegenden Seite zieht eine Reihe von Elefanten zum Fluss und unter dem Stosszahn des ersten Elefanten kann man eine Katze entdecken, die in genau derselben Stellung wie Arjuna dasteht und von Mäusen bzw. Ratten neugierig beäugt wird. Offenbar scheint diese Katze ebenso wie der Asket in Meditation versunken zu sein!
Die Überlieferung wirft ein anderes Licht auf diese Szene: Die Katze soll Arjuna beim Meditieren gesehen und ihn imitiert haben, bis die kleinen Nagetiere unvorsichtig wurden. Als sie neugierig näherkamen, wurden sie plötzlich von der Katze angefallen und gefressen. Auf humoristische Weise weist das Relief darauf hin, dass es auch in der Welt der Spiritualität den Schein und unlautere Absichten gibt. Zugleich fragt mich dieses Detail an, wo ich selbst anderen etwas vormache; vielleicht um Eindruck zu erwecken, oder aber um etwas zu verbergen bzw. Dinge zu erreichen.