Schweiss, Blut und Dreck

Wie eine Fata Morgana erscheint in dem hier abgebildeten Fenster schemenhaft eine Gestalt. Ist es der gekreuzigte Jesus? Oder handelt es sich doch nur um verschmierten Schmutz auf der Scheibe? Es könnte ja ein altes Kellerfenster sein.

Nein, ist es nicht – aber fast. Wir sehen ein unscheinbares Fenster in einem engen Durchgang zum Querschiff einer Kirche. Eigentlich ist diese Kirche etwas Besonderes, denn eines der Fenster im Chor ist vom bekannten Künstler George Braque gestaltet worden, der auch auf dem Friedhof beerdigt ist. Viele Menschen besuchen diesen Ort im Norden Frankreichs. Und so mancher dürfte dabei diese Kreuzigungsdarstellung «Le Christ» des zeitgenössischen Künstlers Jean Renut in dem Durchgang übersehen.

Gerade das aber gefällt mir!
Im christlichen Verständnis ist das nicht einfach ein Mensch, der am Kreuz hängt, sondern Gott leidet in Jesus mit, lässt sich in die dunkle Nische der Beschämung und Schmach verbannen, wird von Schweiss, Blut und Dreck verschmiert und stirbt. Das ist kein Gott, der ruhmreich im Mittelpunkt steht; keiner, der sich in dieser Welt protzig aufdrängt, sondern ein Gott, der manchmal nur schemenhaft erscheint, manchmal auch übersehen wird.
Wenn ich aufmerksam bin, entdecke ich hie und da Hinweise auf ihn. Spuren, die auf sie deuten. Wie Schatten auf unbedeutenden Fenstern.

Abb: Jean Renut, Le Christ, 2001, Kirche Saint-Valery, Varengeville-sur-Mer, Frankreich. Foto: Privat