Seefahrt nach Syrakus

Es gibt Zauberworte, und es gibt Zauberorte. Seitdem ich als Schüler die in Syrakus auf Sizilien spielende Ballade «Die Bürgschaft» von Schiller auswendig gelernt hatte, und spätestens nachdem uns der Physiklehrer im Gymnasium erzählt hatte, wie der griechische Mathematiker und Physiker Archimedes (3. Jh. v. Chr.) in der Badewanne liegend das Gesetz des Auftriebs entdeckt und danach «Heureka!» (Ich hab’s!) schreiend nackt durch die Gassen von Syrakus gerannt sei, war dieser Ort für mich ein Zauberort, den ich gerne einmal besuchen wollte. In den Sommerferien habe ich es nun endlich geschafft.

Von unserem Hotelzimmer aus fiel der Blick über die Meeresbucht hinüber direkt auf die geschichtsträchtige Altstadt. Den Personentransport zwischen der Hotelanlage und der Stadt besorgte ein kleines Motorboot. Eines Abends fiel dieser Kurs aus, da heftige Winde das Meer in Wallung brachten und ein sicheres Übersetzen verunmöglichten. Da fiel mir eine Passage des römischen Stoikers Seneca (1.Jh. n. Chr.) ein, in der er das menschliche Leben mit einer «Seereise nach Syrakus» vergleicht:

«Unser Leben gleicht einer Seefahrt nach Syrakus: Du siehst das Schiff unter geblähtem Segel ablegen vom Hafen. Ruhig gleitet sein Bug durch die Wogen. Die Reise mitunter bedroht von stürmischer Flut. Über dich hin ziehen auf ewigen Bahnen die Sterne. Dich geleitet der ewig wehende Wind, dich umspielt das malerische Leuchten der Sonne im Glanz ihres Aufgangs am Morgen und in der Wehmut ihres Untergangs am Abend. Und so geht es hin, gemäss der dir gesetzten Zeit, bis du einläufst im Hafen deiner Bestimmung.»

Dann setzt er mit der Frage nach: «Was also bedauerst du und was betrauerst du? Wäre es etwa besser für dich, für immer auf See zu verweilen, als endlich zu landen und Anker zu werfen im Hafen deiner Bestimmung?»

Abb: Private Quelle