Sehen lernen
Astronomie fasziniert mich seit der Kindheit. Bei meiner Lektüre begegnete mir der Name von Friedrich Wilhelm Herschel. Er war Astronom und Komponist und starb auf den Tag genau vor 200 Jahren. Aus Hannover stammend wirkte er bis zu seinem Tod in England, wo er sich William Herschel nannte.
Seine Spezialität war das Bauen von Spiegelteleskopen, die im Laufe seines Lebens immer grösser wurden. Sie ermöglichten ihm und seiner Schwester Caroline – die ebenfalls eine begabte Astronomin war – ganz tief ins Weltall zu blicken. Miteinander entdeckten sie unter anderem den Planeten Uranus.
Herschels Humor zeigte sich beim Besuch des Erzbischofs von Canterbury. Der 12 Meter lange Tubus seines Teleskops lag gerade am Boden, und Herschel lud ihn ein, mit ihm durch das Rohr zu gehen, indem er sagte: «Kommen Sie nur, Mylord Bischof, ich will Ihnen den Weg zum Himmel zeigen.»
Angetrieben wurden William und Caroline Herschel von der Faszination, in Bereiche vorzudringen, die nie zuvor ein Menschenauge erblickt hat. Das Vorhaben, alle Fixsterne zu registrieren, mussten sie allerdings wegen der unerwarteten Menge aufgeben. Einmal waren «im Verlaufe nur einer Viertelstunde sage und schreibe 116000 Sterne durch das Blickfeld gewandert».
Der Astronom kam zur Einsicht: «Sehen ist eine Kunst, die erlernt werden muss.» Wer Neues sehen will, muss die alten Bilder im Kopf hinter sich lassen. Dasselbe gilt auch für Menschen. Jede Person ist quasi ein eigenes Universum – gottgeschaffen wie das Weltall. Das beste «Teleskop», einen Menschen zu entdecken, ist die ungeteilte und vorurteilsfreie Aufmerksamkeit.