Sei offen und weit wie der Himmel

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Wenn der Herbstnebel mit grauer Zunge in die Täler schleicht, zieht es mich jeweils hinauf in die Berge. Der makellos blaue Himmel bei Tag und die funkelnden Sterne der Milchstraße bei Nacht beglücken und erheben meine Seele. Da kommt mir regelmäßig das Bonmot des großen Immanuel Kant in den Sinn, dessen 300. Geburtstag dieses Jahr quer durch alle Foren und Fakultäten gefeiert wird: Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.

Dass dieser Satz der Feder des abendländischen Vernunftphilosophen schlechthin entstammt, mag erstaunen, denn er atmet weniger Vernunft als Gefühl, Demut und Ergriffenheit. Der Blick hinauf in die unendlichen Weiten des Raumes lässt seine Seele ahnungsvoll erschaudern und verzaubern. Eine zutiefst religiöse Erfahrung.

Müssten wir nicht alle Verstand und Vernunft manchmal beiseitelegen, um mit dem Vielklang der Welt in Resonanz zu treten, um uns von ihren Wundern und Geheimnissen berühren, ergreifen und verzaubern zu lassen? Gleichen wir in unserm Alltag aber nicht eher Strohhalmguckern, die mit gesenktem Haupt und Röhrenblick durch die Welt hetzen und selbstverliebt den erbärmlich kleinen, begrenzten Ausschnitt für das Ganze, – und uns selbst für das Größte halten?

Also dann: Ab in die Berge. Weg mit dem Strohhalm. Sei offen und weit wie der Himmel. Lass dich ergreifen, erschaudern und verzaubern!