Störenfried oder Heiliger?

Ihr 100-jähriges Bestehen feiert in diesem Jahr das grösste Detailhandelsunternehmen der Schweiz, die Migros. Sie startete im August 1925 mit den sechs Produkten Kaffee, Seife, Reis, Kokosfett, Zucker und Hörnli-Teigwaren, welche auf fünf Verkaufswagen in den Strassen Zürichs angeboten wurden. Der erste Laden wurde bereits im Dezember 1926 eröffnet. Dem Gründer und Geschäftsführer Gottlieb Duttweiler war es ein Anliegen, die hohen Lebensmittelpreise für die Bevölkerung zu senken und zu ihrer Gesundheit beizutragen.

Migros Verkaufswagen
Einer der ersten Migros Verkaufswagen aus dem Jahr 1925; Quelle: Wikimedia Commons.

Den zu dieser Zeit etablierten Detailhändlern und Konsumvereinen war das neue Unternehmen ein Dorn im Auge und ihr Gründer schlicht ein Störenfried, den sie mit Lieferboykotten, Gerichtsverfahren und behördlichen Schikanen zu stoppen versuchten. Duttweiler liess sich durch Widerstand nicht entmutigen. Als Unternehmer und Politiker setzte er sich immer wieder dafür ein, den festgefahrenen Strukturen mit unkonventionellen Mitteln etwas entgegenzusetzen.

Rund 700 Jahre zuvor begehrte ein anderer junger Mann gegen die damalige Gesellschaft auf, die von nachbarschaftlichen Fehden, aufstrebendem Handel und zugleich himmelschreiendem Elend geprägt war. Er weigerte sich, seine Rolle als Kaufmannsohn weiter zu spielen, und entsagte allem Besitz. Das machte ihn für manche zu einem Störenfried. Doch er inspirierte Menschen in ganz Europa zu einem einfacheren Lebensstil, und schliesslich wurde er, Franz von Assisi, zu einem der bekanntesten Heiligen im Christentum.

Dieses Weg-Wort will kein Plädoyer zur Heiligsprechung von Gottlieb Duttweiler sein, vielmehr eine Einladung, ein zweites Mal hinzuschauen, wenn wir einem Störenfried begegnen. Gewiss weist er auf etwas hin, das Beachtung verdient und einer Veränderung bedarf. Situationen können uns herausfordern, selbst zum Störenfried zu werden, zum Sand statt zum Öl im Getriebe.