Unser Opfer
Karfreitag: Jesus stirbt am Kreuz.
Oft wurde und wird dieser Tod als Opfer gedeutet. Gott lasse seinen Sohn sterben, als Sühneopfer, damit die Menschen von der Schuld ihrer Sünden befreit werden.
Weshalb aber sollte der Gott der Liebe ein dermassen brutales Opfer benötigen, um den Menschen zu vergeben? Wie sollte Gott so grausam sein?
Vor einer Woche war es genau 80 Jahre her, dass das Konzentrationslager Buchenwald befreit wurde. Im Januar gedachte man der Befreiung von Auschwitz. Wenn man die Bilder der Leichen oder der völlig ausgemergelten Überlebenden sieht, wird deutlich: Es ist anders zwischen Gott und Mensch, es ist anders mit Karfreitag. Nicht Gott opfert seinen Sohn, sondern wir Menschen opfern Gott!
Wenn Gott Liebe ist, wenn er den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, und wenn einem jeden Menschen damit eine unverbrüchliche Würde zu eigen ist – dann wird Gott in dieser Welt unentwegt geopfert: in der Ukraine, im Gazastreifen, in Trumps USA. Gott wird in Jesus am Karfreitag zum Opfer, aber auch in jedem anderen Menschen, der gedemütigt, erniedrigt, misshandelt oder ermordet wird.
Natürlich: Nicht alle sind Täter:innen. Aber wir sollten uns nichts vormachen: Jeder Krieg zeigt, wie schnell die harmlosesten Menschen Täter werden können. Und wie viele zu Mitläufer:innen werden, oder Zuschauenden, mindestens aber zu aktiv Wegschauenden.
Auf Karfreitag folgt Ostern, die Auferstehung Jesu. Mit den Worten des Glaubens gesagt: Gott lässt sich von uns nicht totkriegen. Gott glaubt trotz allem an uns. Das ernst zu nehmen, könnte heissen: Versuchen, Verantwortung zu übernehmen für die Würde, die Mitmenschlichkeit, das Leben. Versuchen, Gott Raum zu schaffen, in dieser Welt.
Abb: Matthias Grünewald, Kreuzigung (Ausschnitt), Isenheimer Altar, Polyptychon, 1512, Musée Unterlinden, Colmar, Frankreich