Verbindendes besingen

Am Schweizer Bundesfeiertag ist der Schweizerpsalm oft zu hören. Definitiv wurde er erst 1981 zur Schweizer Landeshymne, da war er schon 140 Jahre alt und mehrmals im Gespräch. Manche sind mit ihm als Hymne nicht glücklich und halten ihn für zu pathetisch, zu fromm, zu unmodern. Im Blick auf seine Entstehungszeit erhält er aus meiner Sicht allerdings einen besonderen Stellenwert.

Im Jahr 1841, als der Schweizerpsalm entstand, herrschten in der schweizerischen Staatengemeinschaft massive Spannungen. Die konfessionellen Gräben zwischen Katholiken und Reformierten waren noch tief und kulminierten sechs Jahre später im Sonderbundskrieg. Politisch befeindeten sich die Konservativen, welche sich nach der alten Ständeordnung zurücksehnten, und die Liberalen, die einen modernen freiheitlichen Staat anstrebten. Die Stadt-Land-Differenzen und die sprachregionalen Unterschiede machten die Situation nicht einfacher.

In dieser angespannten Lage wirkten zwei Menschen mit ganz entgegengesetzten Zugehörigkeiten zusammen und kreierten den Schweizerpsalm. Der liberale reformierte Dichter und Musikverleger Leonhard Widmer aus Zürich steuerte die Worte bei und Alberich Zwyssig, der komponierende Zisterziensermönch aus dem Kloster Wettingen, lieferte die Melodie.

Originalhandschrift des Schweizerpsalms von Alberich Zwyssig in der Nationalbibliothek in Bern

Bei aller Unterschiedlichkeit und den bleibenden Meinungsverschiedenheiten war es beiden ein Herzensanliegen, dass die Einheit des Bundes nicht auseinanderfällt und das Gemeinsame nicht vergessen geht. Sie wählten die Form eines Gebetes und erhofften sich Stärkung des Zusammenhalts durch Besinnung auf das Göttliche, das sie jenseits konfessioneller Streitigkeiten, verbunden mit der Natur und den Menschen zugewandt beschrieben. An ihre Absicht, Gräben zu überwinden und das Verbindende in den Vordergrund zu stellen, können wir auch heute anknüpfen, wenn wir unsere Landeshymne singen.