Verliebter Gott
Die mystische Spiritualität ist mir sympathisch. Es gefällt mir, dass sie weniger auf das Erklären aus ist, und mehr auf das staunende Dasein vor dem Unbegreiflichen. Mystikerinnen und Mystiker verwenden Worte häufig auf überraschende, rätselhafte oder paradoxe Weise. Damit fordern sie die vermeintliche Gewissheit des Verstandes heraus, aber ebenso einen unhinterfragten Glauben.
Wieder einmal hat mich einer der Sprüche von Angelus Silesius in seinen Bann gezogen. Der Barockdichter und Mystiker, der eigentlich Johannes Scheffler hiess, hat in seinem Büchlein «Der cherubinische Wandersmann» 1675 Sinngedichte aufgeschrieben. Der angesprochene Vers lautet so:
«Kein Ding ist hier noch dort,
das schöner ist als ich:
Weil Gott – die Schönheit selbst –
sich hat verliebt in mich.»
Da habe ich gestutzt: Es ist doch anmassend, sich selbst als das Schönste zu bezeichnen. Spricht daraus nicht blanker Narzissmus? Auch wendet sich meine Erfahrung dagegen: Ich entdecke an mir selbst so viele Fehler und Unvollkommenheiten.
Dann ging mir auf: Kein Wort ist stark genug auszudrücken, wie sehr Gott uns zugewandt ist, jedem und jeder einzelnen von uns! Das meint Jesus, wenn er uns Gott als «Papa» ansprechen lässt. Aus solchem Vertrauen zu leben, muss sich ähnlich anfühlen, wie der Dichter es beschrieben hat. Wie sehr würde sich unsere Welt ändern, wenn wir mit den Augen Gottes sähen! Wir würden die Schönheit eines jeden Menschen hinter seinen Masken und Schutzmauern erkennen. In dieser Würde würden wir einander begegnen.