Verwandlung
«Aus der Ferne besehn ist alles schön.» In meiner Jugend habe ich diesen Spruch im Comic «Asterix bei den Schweizern» gelesen. Es machte mir damals viel Sinn: Wenn ich eine Sache von Weitem betrachte, dann sehe ich ein grobes Bild davon, und meine Vorstellung ergänzt es meistens auf verschönernde Weise. Und wenn ich näherkomme, dann entdecke ich mehr und mehr die Unvollkommenheiten und urteile kritischer darüber, was ich sehe.
Irgendwie trifft das auch auf die Weihnachtsgeschichte zu. Die zeitliche Distanz und religiöse Verklärung haben das Bild von Maria und Josef, die fern von ihrem Daheim das Kind in einem Stall gebären mussten, immer mehr geschönt und versüsst. Unsere Krippen zeigen in der Regel eine herzige und gemütliche Szenerie, die zu den Erwartungen eines Familienfestes passt.
Die Krippe des Künstlers Ciro in der Bahnhofkirche Zürich macht da nicht mit. Vielen mag sie wegen dem Altmaterial und dem Rost als sperrig und abweisend erscheinen. Ich stand vor ihr und habe sie genau betrachtet, versuchte, die Details mit offenem Herzen zu meditieren. Dabei geschah eine Verwandlung: Ich sah den ganz eigenen Charme der Krippe und sogar Gold.
Die Krippe schenkt mir eine wunderbare Weihnachtsbotschaft: Ich brauche am Fest meine Nächsten und mich nicht mit dem Weichzeichner anzuschauen und alles Störende auszublenden. Ich kann sie vielmehr mit ihren Kanten und Blessuren genau wahrnehmen, sie wohlwollend und warmherzig da sein lassen. Uns allen wünsche ich diese Verwandlung: dass wir die Masken ablegen und einander mit den Unvollkommenheiten als einzigartig schön und kostbar erkennen. Ich glaube, hierin liegt die Keimzelle des Friedens auf Erden und der Beweggrund Gottes, als Mensch in die Welt zu kommen.