Von Rossen und Rosen
Als Kind konnte ich einfach nicht begreifen, weshalb man in der Weihnachtszeit ein Pferd besingt, das ausgerissen ist. Ich wusste von Ochs und Esel im Stall und dass die Heilige Familie mit selbigem Esel nach Ägypten geflohen war. Aber ein Pferd?
Es dauerte einige Lebensjahre, bis ich begriff, dass wir in dem Lied «Es ist ein Ros entsprungen» über eine Rose sangen, die im Winter zu blühen beginnt, und nicht über ein entsprungenes Ross.
Und noch einmal später verstand ich, dass hier eine Vision des Propheten Jesaja über den zukünftigen Messias zitiert wird:
«Und aus dem Baumstumpf Isais wird ein Schössling hervorgehen, und ein Spross aus seinen Wurzeln wird Frucht tragen. Und auf ihm wird der Geist des HERRN ruhen, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist des Wissens und der Furcht des HERRN.» (Jesaia 11, 1+2)
Jesus wird als dieser Spross gedeutet. Als Neuanfang also, verletzlich wie das frisch geborene Kind in der Krippe. Stark und widerständig gleichzeitig, denn der Sprössling geht aus einem Baumstumpf hervor, aus etwas Abgesägtem, Abgestorbenem. Ein Zeichen der Hoffnung. Er ist der Messias.
![](https://bahnhofkirche.ch/wp-content/uploads/2024/12/Christrose_im_Schnee_Ehrenbach-700x525.jpg)
Die im Winter blühende Christrose dient in unseren Breitengraden als Veranschaulichung dieser Hoffnung: Sie ist Leben, das der Kälte und dem Schnee trotzt. Stark und widerständig, in aller Verletzlichkeit.
«…von Jesse kam die Art / und hat ein Blümlein ‚bracht / mitten im kalten Winter, / wohl zu der halben Nacht.»
So ist mir das Lied heute ein Hinweis auf diese wundersame Hoffnung: Dass es oft gegen den Anschein Spielraum gibt. Raum für Menschlichkeit, Raum etwas zu verändern oder neu anzufangen. Den Raum, den Jesus in den Evangelien immer wieder öffnet.
Abb: Christrose im Schnee, Ehrenbach. Foto: Gerda Arendt, 25.12.2021. Wikimedia Commons