Wagnis
Sprichwörter nahm Johann Peter Hebel gerne unter die Lupe. Er war evangelischer Geistlicher und Autor, lebte vor über 200 Jahren und hat in seinem «Schatzkästlein» folgenden kurzen Text veröffentlicht. Darin entdecke ich den Charme einer altertümlichen Sprache und viel Bedenkenswertes.
«Frisch gewagt ist halb gewonnen». Daraus folgt: «Frisch gewagt ist auch halb verloren». Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man auch: «Wagen gewinnt, wagen verliert». Was muss also den Ausschlag geben? Prüfung, ob man die Kräfte habe zu dem, was man wagen will, Überlegung, wie es anzufangen sei, Benutzung der günstigen Zeit und Umstände, und hintennach, wenn man sein mutiges A gesagt hat, ein besonnenes B und sein bescheidenes C. Aber soviel muss wahr bleiben: Wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden, und kann nicht anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und der muss dich durchreissen. Aber wenn du immer willst und fangst nie an oder du hast schon angefangen und es reut dich wieder, und willst, wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann ist «schlecht gewagt ganz verloren.»
Hebel wirft einen pragmatischen Blick auf das Wagen. Genauso wie man Erfolg haben kann, kann man auch scheitern. Ein Abwägen, was realistischerweise möglich ist, ist gewiss sinnvoll. Wer sich aber nur in der Komfortzone aufhält bzw. sofort wieder einen Rückzieher macht, dem oder der wird kaum je etwas Neues gelingen. Oder wie es ein modernes Sprichwort ausdrückt: «Wer wagt, der kann verlieren. Wer nicht wagt, der hat schon verloren.» Jeden Tag eine angemessene Herausforderung anzugehen, das hält den Geist und die Freude lebendig. Was könnten Sie heute wagen?