Wenig Platz, viel Raum
«Welche drei Dinge nimmst du auf eine einsame Insel mit?» Ich erinnere mich noch gut daran, dass mir während meiner Schulzeit in einigen Freundschaftsbüchern diese Frage gestellt wurde. Manchmal antwortete ich ganz praktisch mit «Messer, Feuerzeug, Schlafsack», andere Male eher emotional «Beste Kollegin, Fotokamera, Lieblingsbuch». Zum Nachdenken hat es mich damals schon gebracht: Was braucht man eigentlich wirklich zum Leben?
Wenn ich in der Bahnhofkirche bin, stelle ich mir diese Frage hin und wieder. Hier gibt es nämlich wenig Platz und deshalb keinen Raum für überflüssige Dinge. Verglichen mit anderen Kirchen oder Kapellen, Büros oder Gemeindezentren ist hier alles aufs Wesentliche reduziert. Und genau darin liegt eine besondere Stärke, wie ich finde. Besucherinnen und Besucher können hier erfahren, dass auch auf wenig Platz viel Raum sein kann. Raum fürs Gebet, für die Stille, für Gespräche.
Ich bin davon überzeugt, dass für ein gutes Gespräch kein grosszügig geschnittenes Büro nötig ist. Für ein Gebet braucht es keine prächtige Halle, für die Stille keinen durchgestylten Raum. Manchmal kann die Einfachheit sogar dabei helfen, das Wesentliche zu finden. Das lebten und leben uns über die Jahrhunderte hinweg viele Mystikerinnen und Mystiker aus verschiedenen Religionen vor, die ihren Besitzt reduzierten und ihr Leben leiser machten, um Raum zu gewinnen für ihre (Gottes)Suche. Das wünsche ich Ihnen für den heutigen Tag: dass Sie Raum finden für etwas, das Ihnen guttut und das sie wirklich brauchen.