Wer ist daran schuld?

Letzten Freitag gab es ein Weg-Wort zu einem Mythos der kanadischen Haida-Nation. Heute folgt eine weitere Erzählung aus Kanada. Hintergrund ist eine gewaltige vulkanische Eruption Mitte des 18. Jahrhunderts. Lavaströme töteten etwa 2000 Menschen. Aus diesem Trauma hat sich bei der Nation der Nisga’a folgender Mythos entwickelt:

„Zwei Kinder spielten am Fluss. Eines fing einen Lachs, schlitzte seinen Rücken auf, steckte Holzstücke hinein, die es anzündete, und setzte den Lachs wieder ins Wasser. Das andere fing auch einen, schlitzte seinen Rücken auf, steckte ein Stück Schiefer hinein und setze ihn in den Fluss. Der Lachs wurde von dem Gewicht zur Seite gedrückt und trieb hilflos im Wasser. Da begann der Boden zu zittern, denn das Gleichgewicht der Natur war erschüttert worden. Menschen flohen auf die Berge oder versuchten, mit dem Kanu zu entkommen. Aber sie starben im Lavastrom. Die Überlebenden mussten zusehen, wie ihre Dörfer in der Lava versanken. Schliesslich erschien Gwax-ts’agat vom Berg her und brachte die Lava zum Stillstand, indem er sie vier Tage lang anblies und abkühlte.“

Wie gehen wir Menschen mit Katastrophen um? Offenbar halten wir es kaum aus, sie nicht erklären zu können. Wir müssen eine Ursache finden – und am liebsten auch gleich jemanden, der/die daran schuld ist.

Unser Mythos funktioniert nach diesem Schema. Die Menschen haben sich an der Natur vergangen. Deshalb schlägt sie zurück. Eine hochaktuelle Deutung! Wir erleben das gerade mit der Klimaerwärmung. Aber nicht immer gibt es solch eindeutige Schuldzusammenhänge. Zum Leben in dieser Welt gehört auch, dass Dinge schicksalhaft über uns kommen. Ein Vulkanausbruch geschieht aufgrund der geologischen Gegebenheiten des Planeten. Er ist keine Strafe.

Manchmal bleibt nichts anderes, als zu versuchen, einen Schicksalsschlag zu akzeptieren. Und es gibt – wie im Mythos dargestellt – die Erfahrung, dass es trotz allem weitergeht. Die Katastrophe findet ein Ende. Nicht alles ist zerstört. Neues Leben kann sich entfalten.

Abb: Nisga’a Memorial Lava Bed Provincial Park, British Columbia, Kanada. Foto: Iain Cameron, 2018. Quelle: flickr