Wie ein Mantel
Die Wahrheit ist uns lieb und teuer – besonders die eigene. Um sie zu verteidigen oder zu verbreiten, griffen Menschen immer wieder zu Gewalt. Christliche Glaubensvertreter waren diesbezüglich kaum besser. Der Prediger und Ordensgründer Dominikus, dessen Gedenktag heute begangen wird, scheiterte im Bemühen, Andersglaubenden gewaltlos im Gespräch und mit gutem Beispiel zu begegnen. Schliesslich obsiegten Kreuzzug und Inquisition.
Haben wir inzwischen dazugelernt? Für einen humaneren Umgang mit der Wahrheit hat Max Frisch ein schönes Bild gefunden: «Man sollte die Wahrheit dem anderen wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann – nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen.» Ich bin froh, dass dies an vielen Orten schon beherzigt wird, etwa im Haus der Religionen in Bern.

Von diesem Geist beseelt ist auch die empfehlenswerte Erklärung «In gegenseitiger Achtung auf dem Weg», welche die jüdisch-evangelische Gesprächskommission im Jahr 2010 veröffentlicht hat. In der Einleitung können wir lesen:
«Im Dialog begegnen wir einander in Anerkennung der vielfältigen Dimensionen unserer je verschiedenen Identität und in Achtung vor den Überzeugungen der anderen. Der Dialog setzt voraus, dass der andere Mensch in seinem Anderssein gänzlich respektiert wird.»
Die Erklärung macht mir Hoffnung und lädt mich dazu ein, meinen Umgang mit Wahrheit immer wieder zu überprüfen. Mögen wir alle uns an der Wahrheit freuen wie an einem wärmenden Mantel, den wir auch zeigen dürfen, und zugleich respektvoll bleiben zu allen, die einen anderen Mantel tragen.