Wie ich ein Teil der Weihnachtsgeschichte wurde


Einen grossen Teil meiner Kindheit hindurch bis ins junge Erwachsenenalter hinein bin ich am Heiligen Abend mit Kindern und Jugendlichen durch meinen Heimatort gezogen. Wir haben die Menschen aus unserer Gemeinde besucht, die alt und gebrechlich waren und ihnen Weihnachtslieder vorgesungen. Morgens ab 9 Uhr sind wir in kleinen Gruppen losgelaufen, damit wir bis 16 Uhr alle besuchen und um 17 Uhr in der Kirche sein konnten. Die Kleinen hatten Engelskostüme an, manche hatten Instrumente mit.

Gesegnet seid ihr alten Leute,
Gesegnet sei du kleine Schaar!
Wir bringen Gottes Segen heute
Dem braunen, wie dem weißen Haar.

aus dem Lied «Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen»

Als wir sie zum ersten Mal besuchten, sind die Leute schon beim ersten Lied gegangen, um ihre Geldbörse zu holen. Als sie begriffen, dass wir nicht singen, um Geld zu sammeln, sondern um ihnen eine Freude zu machen, sind Tränen gelaufen. Im Jahr darauf hielten sie Tüten mit Weihnachtsgebäck bereit, um auch uns eine Freude zu machen, falls wir wiederkommen. In all den Jahren danach haben sie schon auf uns gewartet. Ich kann mich gut an sie erinnern: Die Alters- Dreier- WG aus zwei Männern und einer Frau. Sie haben in einem hutzligen kleinen Häuschen gewohnt. Die Grossen von uns mussten sich beim Eintreten bücken. Bei ihnen sassen wir immer um den Tisch zum Singen, sonst hätte der Platz nicht gereicht. Das Ehepaar, bei dem der Mann zitternd an Krücken stand, während wir gesungen haben, seine Frau hat ihn gestützt. Das Ehepaar im Mehrfamilienhaus, wo wir singend im Treppenhaus standen und alle Türen gingen auf. Fast alle haben Weihnachtslied um Weihnachtslied mit uns gesungen oder gesummt.

Obwohl wir als Engel verkleidete Kinder dabeihatten, hatte ich nie den Eindruck, dass wir wie Engel sind, die die Weihnachtsfreude bringen. Wir waren mehr wie die Hirten. Wir sind weit gelaufen und wir haben bei den Alten unsere Krippe gefunden. Manche von uns mussten mit ihren Müttern kämpfen, damit sie am Heiligen Abend mitkonnten. Die Mütter hätten nämlich gerne Hilfe daheim gehabt. Doch niemand von uns hätte es sich nehmen lassen, am weihnachtlichen Kurrende Singen dabei zu sein. Als ich weggezogen bin, hat meine jüngere Schwester die Singleitung übernommen. Das Kurrende Singen ist meine schönste und wertvollste Weihnachtserinnerung. Zu all den anderen Sängerinnen und Sängern habe ich keinen Kontakt mehr, aber ich denke, dass es ihnen genauso geht.