Wirklich wahr
Wenn ich das Kunstwerk «Archimedische Schraube» von Roland Heini in unserem Raum der Stille betrachte, staune ich über einen optischen Effekt, der sich dann einstellt, wenn sich die Schraube dreht: Es entsteht nämlich der Eindruck, die Schraube bewege sich nach oben oder nach unten, obwohl sie ja offensichtlich fest in ihrer Halterung sitzt und nichts anderes tut, als sich um ihre eigene Achse zu drehen.
Weil sich das elegant gewundene Holzobjekt dreht, verändert sich mein Blick darauf ständig. Mein Hirn verarbeitet diese stetigen Änderungen als vertikale Bewegung. Eine Illusion!
Offensichtlich entspricht die Erfahrung, die uns unser Hirn vermittelt, nicht immer der Wirklichkeit. Etwas mag sich zwar total richtig anfühlen, wenn wir es aber kritisch überprüfen, erkennen wir, dass wir uns getäuscht haben.
Gerade in unserem multireligiös genutzten Raum der Stille ist diese Einsicht hilfreich. Was die einen auf Grund ihrer Erfahrung für wahr und wichtig halten, kann für die anderen nicht nachvollziehbar und fragwürdig sein. Verschiedene Wahrnehmungen der Wirklichkeit sind möglich. Und eine kritische Haltung der eigenen «Wahrheit» gegenüber ist allemal angebracht.
Die «Archimedische Schraube» ist noch bis kommenden Mittwoch, 7. September zu sehen.
Abb: Roland Heini, Archimedische Schraube, 2022, Installationsansicht Bahnhofkirche Zürich. Foto: Manuela Matt