Ziemlich nach Lukas

Vor ein paar Jahren habe ich einen ungewöhnlichen Weihnachtsgottesdienst erlebt. Der Pfarrer stellte sich, als es an der Zeit war, hinter das Lesepult und kündigte uns die Lesung des Weihnachtssevangeliums nach Lukas an. Statt das Lektionar zu öffnen, schaute er hilflos suchend auf dem Lesepult herum. Er griff ins Fach unter der Kanzel, wo das Lektionar liegen sollte. Dann schaute er zur Sigristin. «Das Lektionar ist nicht da. Liegt es auf dem Altar»? Die Sigristin wirkte bestürzt. «Sie haben mir vorhin gesagt, dass sie es selbst bereitlegen». Die Gemeinde wurde unruhig. Jemand wollte gerade zur Sakristei laufen, als der Pfarrer abwinkte. «Dann müssen wir uns selber helfen». Er zog eine grosse Tafel mit weissen Papierbahnen hinter dem Christbaum hervor und nahm einen dicken schwarzen Filzstift in die Hand. Dann bat er uns Gemeindeglieder darum, ihm die Sätze aus der Weihnachtsgeschichte zu sagen, an die wir uns erinnern. Erst waren alle verlegen still, dann machte ein Teenagermädchen den Anfang: «Eine Jungfrau soll ein Kind bekommen». Dann kam Meldung um Meldung aus der Gemeinde. Der Pfarrer schrieb und schrieb mit seinem dicken Stift.
Am Ende war alles da:Die himmlischen Heerscharen, Quirinius der Statthalter, Windeln für das Kind, Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, der Engel, der zu den Hirten auf dem Felde tritt, die Krippe, Kaiser Augustus, die Schätzung, die fehlende Herberge, die Hirten, die nach Bethlehem ziehen. Nur Ochse und Esel haben auch bei uns keinen Platz gefunden.

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Als wir mit dem Aufzählen fertig waren, sagte der Pfarrer: «Wir hören nun das Evangelium von der Geburt Jesu, so wie es die Gemeinde in U. erinnert». Wir standen dazu und sagten, genau wie beim Evangelium nach Lukas «Lob sei Dir Christus» und «Ehre sei Dir, oh Herr». Dann las er unser Evangelium von den Papierbahnen ab, so wie wir es ihm gesagt hatten. Die Sigristin blätterte um. Eine Predigt war nicht nötig, denn das war ja die Predigt, dass wir alle diese Worte im Herzen bewahrt hatten, wie Maria.