Ein Hauch von Ewigkeit

In deinen Augen sind tausend Jahre wie der gestrige Tag.

Psalm 90, 4

Im deutschen Halberstadt wird in einer Kirche seit dem Jahr 2001 das längste Orgelstück der Welt gespielt. Geschrieben hat es der amerikanische Komponist John Cage. Das Stück besteht nicht aus besonders vielen Noten. Die Partitur umfasst nur ein paar wenige Seiten. Der Titel des Stückes ist zugleich Spielanweisung: «As slow as possible», «so langsam wie möglich».

Eine Interpretation dieses Stückes durch eine Organistin oder einen Organisten dauert etwa eine halbe Stunde. Bei der Aufführung in Halberstadt spielt die Orgel ohne menschliches Zutun. Dadurch ist es möglich, die Musik quasi bis in die Unendlichkeit zu überdehnen, ohne sie je unterbrechen zu müssen. Zwischen den Klangwechseln vergehen Jahre. Der nächste ist für den 5. August 2026 vorgesehen. Erst im Jahr 2640 soll der letzte Ton verklungen sein. 

Wenn die Zeit stillzustehen scheint, ergeben sich neue Einsichten. Foto von Pixabay auf Pexels

Ich war noch nie in Halberstadt, um dort in jener Kirche etwas von der Ewigkeit zu erahnen. Ich habe auch nicht vor, extra für dieses Erlebnis dorthinzufahren. Aber schon allein das, was ich über dieses Projekt nachlesen kann, weitet meinen Horizont. Wird das Stück überhaupt bis zu seinem Ende gespielt werden können? Und wie wird dann die Welt wohl aussehen?

Auf jeden Fall verweist diese Musik – wie jedes Kunstwerk – auf Dimensionen, die ich als einzelner Mensch nicht voll und ganz erfassen kann. Und damit verweist sie für mich auch auf Gott, dessen Uhren nicht einfach nur schneller oder langsamer ticken, sondern der schon vor aller Zeit war, und der die ganze Zeit und somit auch meine Zeit in seinen Händen hält.