Ein Riss durchs Schöne
Vermutlich ist es nicht Absicht des Künstlers gewesen. Wahrscheinlich ist dieser Riss erst später ins Holz gekommen. Aber er ist da, klar und deutlich: Der Holzkasten, in den die diesjährige Weihnachtskrippe der Bahnhofkirche hineingebaut wurde, hat in der Hinterwand einen langen Riss. Vertikal geht er durch das Zentrum der Szene, wo die Heilige Familie zu sehen ist: Das Jesuskind in der Mitte, rechts Josef, links Maria.
Das ist sinnig. Gerade in einer Darstellung, die sonst so farben- und lebensfroh ist, in der so sehr von einer guten Schöpfung erzählt wird!
Denn es gehen Risse durch unsere bunte und schöne Welt. Ein Blick auf das zu Ende gehende Jahr genügt: Der 7. Oktober in Israel, der folgende Gaza-Krieg, die Ukraine, die neuen Hitzerekorde…
Und es ist sinnig, dass dieser Riss ausgerechnet hinter dem Jesuskind durchgeht. Wenn in ihm Gott Mensch geworden ist, dann heisst das: Er ist es in dieser zerrissenen, widersprüchlichen Welt geworden. Der Riss geht sozusagen durch Gott selbst hindurch.
Und das ist dann wahrlich ein radikales «Ja» Gottes zu meinem Leben! Und es hilft mir, die Risse zu ertragen. Denn dieser Gott ist nicht unversehrt geblieben, in der versehrten Welt.
Wie sollte denn da eine Krippe ganz bleiben können, wenn sie von diesem Gott erzählt?
Abb: Maximiano Ochante Lozano, Schöpfungskrippe, Detail, KrippenWelt, Stein am Rhein. Foto: Bahnhofkirche Zürich