Kahle Stängel

Gestern zeigte sich mir beim Öffnen des Schlafzimmerfensters am Morgen überraschend eine winterliche Szene. Auf den gegenüberliegenden Dächern war eine kräftige Schneeschicht zu sehen und vom Himmel sanken Flocken hernieder. Der Frühling hat es also noch nicht ganz geschafft, ging es mir durch den Kopf. Dann fiel mein Blick auf die Kräuterkiste vor dem Fenster, die zurzeit ein trauriges Bild abgibt. Nichts als ein paar dürre braune Stängel ragen dort aus dem ausgetrockneten Erdreich. Wo im letzten Herbst üppige Büsche von Basilikum wuchsen, bietet sich mir nun eine Art Wüstenlandschaft dar.

Das Trostlose des Anblicks weckte in mir dieses Gefühl, das mich schon seit einer Weile stärker überkommt. Liegt es an der noch nicht aufgearbeiteten Pandemiezeit? An den aktuellen Kriegen und dem vielen Leiden, das dabei in Kauf genommen wird? Oder am ruppigen politischen Klima und der Durchlöcherung der sozialen Netze, durch die immer mehr fallen? Es ist für mich gerade nicht mehr so einfach wie früher, an eine friedliche und helle Zukunft für uns alle zu glauben. Überfällt mich solch eine Stimmung, dann sehe ich zunehmend das Menschliche aus dem Miteinander verschwinden, so wie es das Grün aus der Kräuterkiste tat.

Beim Sinnieren schenken die kahlen Stängel mir am winterlichen Morgen zum Glück noch andere Botschaften: Durststrecken gehören dazu, Brachzeiten, in denen nichts vorangeht und sich das Lebendige zurückzieht. Das fordert Geduld und Durchhaltevermögen von mir. Trösten mag mich dann die Erinnerung an Gutes, wie die Stoppeln an das feine Pesto erinnern, das wir aus dem geernteten Basilikum gemacht haben. Weiter erinnert mich meine Kräuterkiste daran, dass es – wenn die Zeit dazu reif ist – für mich etwas zu tun gibt: aufzuräumen und Neues anzupflanzen, es zu hegen und zu pflegen, bis es wieder grünt und wächst.