Längere Tische
Die angespannte Weltlage lässt Menschen zurzeit sorgenvoller werden. Es zirkulieren Ängste vor einem bevorstehenden Mangel: Das Erdgas und die Energie, vielleicht sogar Lebensmittel könnten knapp werden. Die Aussicht auf eine Notlage bewegt dazu, Vorsorge zu treffen und Vorräte anzulegen.
Verglichen mit anderen Ländern fallen in der Schweiz wenige Menschen durch die Maschen der Gesellschaft. Die meisten hier haben mehr als genug. Was machen wir mit dem Wohlstand, und was macht er mit uns? Ein Spruch aus den sozialen Medien geht darauf ein:
«Wenn wir mehr haben, als wir brauchen, dann lasst uns längere Tische bauen und nicht höhere Mauern.»
Unmittelbar kommt mir das Bild eines grossen Quartierfests in den Sinn, wo Leute ihre Tische auf die Strasse stellen, ihr Essen bringen, miteinander teilen und die Freude am Zusammensein feiern. In der Nachbarschaft kann das gut gelingen: Hier vertrauen wir einander und auch darauf, dass jede Person nach ihren Möglichkeiten einen Anteil leistet. Dabei entsteht eine Verbundenheit, die auch in schwierigen Zeiten hält.
Im grösseren Massstab wird die Sache komplizierter. Auch wenn die Zustimmung gross ist, dass Besitz Verantwortung mit sich bringt, scheint das Verfolgen von Eigeninteressen vernünftiger zu sein. Aber machen höhere Mauern die Welt letztlich sicherer und besser? Der genannte Spruch gilt jetzt womöglich mehr denn je. Die Stärkung der Verbundenheit und die Förderung der Benachteiligten ist wohl der nachhaltigste Weg zu mehr Sicherheit, weil wir alle einander helfen. Einem Mangel können wir am besten vorbeugen, wenn wir im Kleinen und im Grossen zu Pionieren der längeren Tische werden.