Obdachlos

Komm in unser festes Haus,
der du nackt und ungeborgen.
Mach ein leichtes Zelt daraus,
das uns deckt kaum bis zum Morgen;
denn wer sicher wohnt, vergisst,
dass er auf dem Weg noch ist.

4. Strophe aus Lied RG 833/KG 592

Hans von Lehndorff 1968

Zum dritten und letzten Mal erzähle ich hier vom Buch «Der Salzpfad» der britischen Autorin Raynor Winn. Sie und ihr Mann hatten ihren Hof mit allem, was dazugehörte, verloren und damit auch ihre Lebensgrundlage und ihr Obdach. Statt sich in Abhängigkeiten zu begeben, gaben sie ihrer Obdachlosigkeit eine eigene Gestalt, indem sie zu Fuß mit Rucksack und Zelt den 1000 Kilometer langen South West Coast Path zurücklegten.

Bild von Teemu R auf pexels

Im Buch gibt es Fotos, die ganz ähnlich aussehen wie dieses hier. Beim ersten Betrachten der Bilder wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass sich das Thema Obdachlosigkeit als Konstante durch das ganze Buch hindurchzieht. Ich dachte eher an Urlaub oder Abenteuer.

Doch wenn Raynor Winn von den Begegnungen unterwegs erzählt, wird klar, dass es sich bei ihrer Reise nicht um einen Abenteuerurlaub handelte. Sie und ihr Mann konnten es sich nicht leisten, wie andere Wanderer nachts in einem bequemen Bett schlafen. Oft stellten sie ihr Zelt abends erst bei Dunkelheit auf und brachen schon vor Morgengrauen wieder auf, damit sie nicht weggejagt wurden. Wenn gut ausgerüstete Backpacker sich erkundigten, wo sie denn sonst zu Hause seien, kam die Unterhaltung aus Verlegenheit plötzlich ins Stocken. Die eigene Obdachlosigkeit öffnete Raynor Winn den Blick für die vielen Obdachlosen in den größeren Ortschaften, die sich so gut wie möglich verstecken, um nicht belästigt zu werden.

Siehe auch Schwerpunktartikel in der aktuellen Ausgabe von reformiert.info https://reformiert.info/admin/data/files/asset_file/file/1761/240112_reformzh.pdf?lm=1704886366