Palmsonntagsjubel – Karfreitagshetze

Palmsonntag, Gründonnerstag, Karfreitag, Ostern. Übermorgen beginnt die Zeit der Besinnung auf den Leidensweg Jesu – und auf seine Auferweckung aus dem Tod.

Die biblischen Texte zum Palmsonntag beschreiben, wie Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzieht. Von den Umstehenden wird er bejubelt: Er komme im Namen Gottes und sei ein König, der Frieden bringe.

Kurz darauf – am Karfreitag – wird die Stimmung umschlagen. Jetzt fordern die Massen mit derselben Vehemenz den Tod des Gefeierten. Er wird verurteilt und am Kreuz hingerichtet.

Diese Texte sind mit erheblicher Distanz zu den Geschehnissen verfasst worden, und die Evangelien sind nicht Tatsachenberichte, sondern kunstvoll komponierte Glaubensbücher, die die Bedeutung des Jesus erschliessen wollen. Sie richten sich an ihre Leserschaft in deren Situation.

Das Kippen vom Palmsonntagsjubel zur Karfreitagshetze wird bewusst so dramatisch inszeniert.
Die Botschaft: So widersprüchlich können Menschen sein. So manipulierbar bist auch du! So viel Zerstörerisches steckt in uns allen.

Tatsächlich: Die Erfahrungen aus Kriegen oder autoritären Staaten zeigen immer neu, wie Menschen unter bestimmten Bedingungen zu Unmenschlichstem fähig werden.  

Die Evangelien haben jedoch nicht die Absicht, uns klein zu machen und niederzudrücken. Der Erkenntnis der eigenen Schuldfähigkeit wird die Versöhnung in der Begegnung mit dem liebenden und vergebenden Gott in Jesus entgegengestellt. Nicht Selbstverkrümmung ist die Lösung, sondern die Erkenntnis, dass wir Menschen eine Gemeinschaft der Unzulänglichen sind, die der Solidarität bedürfen. Nur wenn wir die Abgründe in uns als Teil unserer selbst wahr- und annehmen, wird ein anderer, konstruktiverer Umgang mit ihnen möglich.  

Abb: Meister der Palastkapelle in Palermo, Einzug Christi in Jerusalem, circa 1150, Cappella Palatina, Palermo. Wikimedia Commons