Samen der Nächstenliebe

Einst lebte in Portugal ein Seifenfabrikant, der war fromm und gottesfürchtig, zugleich fühlte er sich desillusioniert durch schwierige Erfahrungen in seinem Leben. Als er eines Abends wieder bei seinem regelmässigen Gebet sass, klagte er: «O ihr Engel und Heiligen Gottes! Die christliche Nächstenliebe ist doch ein voller Misserfolg und hat nichts gebracht. Schon seit zweitausend Jahren wird sie gepredigt, und die Welt ist noch nicht besser geworden. Es gibt nach wie vor so viel Böses und üble Menschen unter uns.»

Plötzlich vernahm er die Stimme eines Engels, der ihn aufforderte: «Steh auf und geh ans Fenster.» Der Mann wunderte sich und tat es. «Was siehst du dort draussen?» hörte er den Engel fragen. Er blickte hinaus und erwiderte: «Dort an der Ecke sehe ich ein Kind am Strassenrand im Staub sitzen und spielen. Und ich muss sagen: Es ist ein ausserordentlich schmutziges Kind.»

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«Schau mal an», bemerkte die Stimme, «Das Produkt, das in deiner Fabrik hergestellt wird, die Seife, sie hat also gar nichts erreicht. Sie existiert schon so viele Jahrhunderte und gleichwohl gibt es immer noch eine riesige Menge Schmutz und ungepflegte Menschen.» Sofort konterte der Fabrikant: «Seife nützt natürlich nur etwas, wenn sie auch angewendet wird.» Eine Weile war es still, bis der Engel sagte: «Und ebenso ist es mit der Nächstenliebe.»

Wer diese kleine Geschichte verfasst hat, weiss ich nicht. Man könnte sie als Illustration des Zitats von Erich Kästner auffassen: «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es!» Mir erscheint die Intervention des Engels wie eine Ermutigung: in meinem nächsten Umfeld zuversichtlich mit den Verbesserungen zu beginnen, die ich gerne in der Welt sehen möchte. Jeder noch so kleine Samen der Nächstenliebe wird irgendwann aufgehen und Frucht bringen.