Tabula rasa

Anfang Januar verspüre ich in mir oft ein Unbehagen. Die Zeit kommt mir leer vor und das vor mir liegende Jahr wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Das alte – vollgeschriebene – ist auf die Seite gelegt, der Glanz der hohen Festtage vorbei, und eine kaum greifbare Kargheit, eine Langeweile macht sich breit. Vom unangenehmen Gefühl lasse ich mich dazu verlocken, das Loch schnell mit irgendetwas aufzufüllen, um der Trostlosigkeit zu entgehen.

Es hat natürlich auch mit der Jahreszeit zu tun. Die Natur ruht, die Pflanzen und Tiere leben auf Sparflamme, und ihre Aktivitäten sind fast gänzlich zum Stillstand gekommen. Besonders fällt es mir auf, wenn ich die verschiedenen Wasservögel auf dem See beobachte, die stundenlang reglos auf der Oberfläche treiben können. Wie halten sie das aus? Was geht ihnen durch den Kopf? Können Enten auch so etwas wie Langeweile empfinden?

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Das Gefühl des Januarlochs kennen die meisten Menschen. Nach den Weihnachtsfeiertagen mit den erfüllten und auch nicht erfüllten Wünschen erleben wir nun die Ernüchterung des Alltags. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich: Während sich manche der trüben Stimmung überlassen und sich zurückziehen, um diese Zeit zu überstehen, verfallen andere in Aktivität, schmieden Pläne, fassen Vorsätze und entfliehen auf diese Weise der Leere.

Vielleicht will das frische Blatt des neuen Jahres – diese „tabula rasa“ des Januarlochs – eine Einladung sein: Schenke der Leere und Langeweile bewusst und neugierig Raum! Gib der Ruhe eine Chance, laufe nicht vor ihr davon! Unerwartetes kann so an die Oberfläche des Bewusstseins kommen, und mehr Verbundenheit und Tiefe für mein eigenes Planen und Handeln wird möglich. Ihnen allen wünsche ich einen wertvollen Start ins Jahr 2022!