Wandern oder Pilgern?
Die Klosterschule macht einen Ausflug in einem Berliner Park. Ein Eichhörnchen huscht über den Weg. Eine Nonne fragt: «Kindlein, wisst, Ihr was Ihr da gesehen habt?» Da sagt Emil: «Ick würde ja sagen, det warn Eichhörnchen, aber so wie ick den Betrieb hier kenne, war det wider det liebe Jesulein!»
Am vergangenen Montag habe ich von der britischen Autorin Raynor Winn erzählt, die eine schwierige Situation bewältigt hat, indem sie zusammen mit ihrem Mann vierzehn Monaten lang auf dem längsten Weitwanderweg Englands unterwegs war. Ihr Buch zu dieser Wanderung, «Der Salzpfad», wurde ein Bestseller.
Als «Kirchenmann» waren meine Erwartungen klar: Wer so lange wandert, wandert nicht, sondern pilgert. Doch Raynor Winn nennt sich «Weitwanderin». Sie betont sogar, dass es ihr beim Wandern nicht um eine religiöse Erfahrung geht.
Es ist mir beim deutenden Lesen schwergefallen, mich auf ihre Perspektive einzulassen. Seit meiner Kindheit – aufgewachsen im Pfarrhaus – lese ich durch die religiöse Brille, ordne ich Erlebnisse in religiöse Kategorien ein, erkläre schöne Erfahrungen zu spirituellen. Jedes Eichhörnchen wird zum lieben Jesulein. Ständig war ich versucht bei ihren Beschreibungen zu sagen: Aber das ist doch eine spirituelle Erfahrung.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, dass meine Haltung vereinnahmend ist und mir den Blick auf ihre Botschaft verstellt hat. Sie hat von der verändernden Kraft erzählt, die in unserer ursprünglichsten Bewegungsform liegt: dem Laufen.