• Samen der Nächstenliebe

    Einst lebte in Portugal ein Seifenfabrikant, der war fromm und gottesfürchtig, zugleich fühlte er sich desillusioniert durch schwierige Erfahrungen in seinem Leben. Als er eines Abends wieder bei seinem regelmässigen Gebet sass, klagte er: «O ihr Engel und Heiligen Gottes! Die christliche Nächstenliebe ist doch ein voller Misserfolg und hat nichts gebracht. Schon seit zweitausend Jahren wird sie gepredigt, und die Welt ist noch nicht besser geworden. Es gibt nach wie vor so viel Böses und üble Menschen unter uns.» Plötzlich vernahm er die Stimme eines Engels, der ihn aufforderte: «Steh auf und geh ans Fenster.» Der Mann wunderte sich und tat es. «Was siehst du dort draussen?» hörte er…

  • Schöne Vergänglichkeit

    Vor zwanzig Jahren wuchs neben der katholischen Kirche von Neuenhof im Aargau ein japanischer Blütenkirschbaum. Damals wirkte ich dort als Seelsorger. Um die Zeit der Erstkommunion herum stand der Baum jeweils in voller Blüte, und nicht selten strahlte er mit dem blauen Himmel um die Wette. Das Bild der Kinder in ihren langen Gewändern unter diesem Baum erscheint noch lebendig vor meinen Augen, und ich realisiere, wie sehr das üppige, rosa leuchtende Blütenmeer dazu beitrug, dass dieser Tag für die Familien ein ganz besonderer wurde. Diese Erinnerung hilft mir zu verstehen, welch herausragende Bedeutung die Kirschblüten in Japan geniessen. Dort stehen sie im Mittelpunkt der Frühlingsfeierlichkeiten und sind so beliebt,…

  • Berührbar werden

    «Nein, Nein, und nochmals Nein!» Petrus ist ganz ausser sich. Gerade hat sein Meister das Obergewand abgestreift, sich die Ärmel hochgekrempelt und ein Leinentuch umgebunden, eine Schüssel mit Wasser gefüllt und begonnen, den verdutzten Jüngern am Abendmahlstisch die Füsse zu waschen. Es will Petrus nicht in den Kopf: Wie kann sich sein Herr und Meister so herablassen und Sklavenarbeit verrichten. Und als er an die Reihe kommt, sträubt er sich und erwidert: «Niemals sollst du mir die Füsse waschen!» Die Füsse sind im buchstäblichen Sinn die niedrigsten unserer Körperteile und erhalten oftmals wenig Aufmerksamkeit. Den Tag hindurch schützen und verstecken wir sie zumeist in allerhand Schuhwerk, und wenn wir einmal…

  • Ich darf das

    Manchmal nerve ich mich gewaltig über Angewohnheiten von mir, z.B. wenn mir etwas nicht gelingt und ich ungeduldig und wütend darüber werde. Sofort meldet eine weitere Stimme und beklagt sich: das sei wieder mal typisch für mich, in meinem Alter sollte ich reifer und gelassener sein usw. Wie sehr wünsche ich mir, dass mich solche Gewohnheiten in Frieden lassen würden. Dazu folgende kleine Geschichte: «Zwei Mönche, ein Meister und sein Schüler, gingen im Wald spazieren. Nach einer Weile fragte der Schüler: ‹Was kann ich tun, damit mich die unnötigen Dinge des Alltags, meine übermässigen Wünsche und Süchte, meine Ungeduld und Unzufriedenheit, endlich loslassen?› Der Meister ging zu einem Baum, umklammerte…

  • Selbstvergessen bei der Sache

    Musizieren gehört zu meinen liebsten Hobbys. Wenn ich die Gitarre in die Hand nehme, dann kann ich mich ganz in die Musik versenken und die Zeit vergessen. Vor anderen Menschen ein Stück aufzuführen, fällt mir allerdings schwer. Da kommt mir das Lampenfieber in die Quere, ich werde nervös und mache viel mehr Fehler, als wenn ich entspannt für mich alleine spiele. Zum Fehlermachen beim Musizieren habe ich neulich diese kleine Szene gelesen: Ein Musikstudent beklagte sich bei seiner Lehrerin: «Wenn ich mein eigenes Spiel aufnehme und abhöre, dann entdecke ich immer noch mehr Fehler. Dann frage ich mich, ob ich jemals ein guter Musiker sein kann.» Die Lehrerin schaute ihn…